07.05.2000,
Phoenix, Arizona - Der erste Tag
Obwohl
oder gerade weil ich total übermüdet war schlief ich extrem schlecht.
Um fünf wachte ich das erste Mal auf, nochmals um sechs und eine halbe
Stunde später gab ich auf und stand auf. Nach einer Dusche öffnete
ich meine Zimmertür, um mir am Empfang einen Kaffee zu holen. Draussen
roch es nach Amerika. Ich war endlich zurück, und das skeptische Gefühl,
das ich diesmal hatte, als ich Deutschland verließ, war verflogen.
Meine letzten drei Monate in Amerika - ich würde sie in vollen Zügen
genießen!
Ich rief Rob an, der mir
versprochen hatte, einen alten Austauschmotor für meinen Truck zu
besorgen, den die Werkstatt in Tausch für den Neuen nehmen sollte,
da der Alte aus meinem Truck nicht mehr recyclefähig gewesen war.
Das würde mir eine Menge Kosten sparen, aber Rob hatte sein Versprechen
nicht gehalten, wie mir der Werkstattmensch Sergio vor zwei Tagen am Telefon
mitgeteilt hatte. Jetzt am Telefon erklärte Rob mir ziemlich lapidar,
dass ich einen Motor auf einem Schrottplatz in Phoenix besorgen könne.
Danke. Als ob ich wüßte, wie so ein Teil aussieht und woran
ich erkenne, ob er gut genug ist. Ich schrieb den Austauschmotor also ab
und addierte eine erkleckliche Summe zu meiner zu erwartenden Reparaturrechnung,
dann rief ich Sergio an, um ihn zu fragen, wann ich den Pick up abholen
könne. Gegen zwei Uhr würde er mich zurückrufen, sagte er.
Dann könne ich den Truck haben.
Kurz für alle, die hier nur Bahnhof verstanden haben: In der letzten Woche meiner
letzten Amerikareise hatte ich mir einen 87er Chevy Pick up gekauft, der zwar super billig war,
aber dafür eine Austauschmaschine brauchte (das wußte ich natürlich schon beim Kauf). An
meinem letzten Tag brachte ich ihn also in eine Werkstatt in Phoenix, wo sie sechs Wochen
Zeit hatten, den Wagen zu reparieren. Der Werkstattmanager Sergio brachte mich dann zum
Flughafen - und ich sagte nicht nur "Good bye, Amerika!", sondern auch "Good bye, Pick up!"
Von Deutschland aus telefonierte ich ein paar mal mit Sergio und Rob, um den Stand
der Dinge zu erfahren und sicher zu sein, dass mein Pick up fertig sein würde, wenn ich wieder käme.
Nun hieß es also erst mal, fünf
Stunden tod zu schlagen. Ich buchte das Hotelzimmer für eine weitere
Nacht, da ich sonst nicht wußte wohin mit dem Gepäck, und brach
zu einem Spaziergang auf. Es war heißer, als ich gedacht hätte,
der Planet knallte unter der Sonne in Phoenix. Weit und breit gab es nur
Auovermietungen, Tankstellen und ein paar Fast Foods. Bis zum nächsten
Shopping-Center seien es etwa fünf Meilen, hatte mir die Frau am Empfang
gesagt. Viel zu weit zum laufen, und erst recht bei der Hitze, aber ich
wanderte trotzdem in die Richtung, um etwas zu tun zu haben. Mir fiel auf,
dass viele Autos hupend an mit vorbeifuhren. Merkwürdig, das war mir
in Amerika noch nie passiert. Erst als ein Wagen wendete, zurückkam
und der Fahrer mir ein deutliches Zeichen von finanzieller Interesse machte
(das ich mit einem deutlichen Zeichen von "Du hast 'se wohl nicht mehr
alle" beantwortete), begann ich zu verstehen, was es mit den hupenden Fahrern
auf sich hatte. Ich war im Nuttenviertel von Phoenix gelandet.
Ich ignorierte weitere Angebote
und zog schwitzend weiter, bis ein Ami seinen Wagen anhielt und mich fragte,
ob er mich irgendwo hinbringen könne. Ich wog ab, ob ich das Risiko
eingehen oder mir lieber Blasen laufen sollte.
Im nachhinein denke ich,
dass ich ziemlich unvorsichtig gehandelt habe, aber in dem Augenblick fand
ich, dass er eigentlich recht vertrauenswürdig aussah, ich machte
ihm also klar, dass ich gerne ein paar Meilen mitgenommen werden würde,
aber dass ich kein Interesse an irgendetwas anderem als an einer Fahrt
hätte, dann stieg ich zu ihm ein. Auf den nächsten drei Meilen
schaffte er es, sich ausschließlich über Sex zu unterhalten.
Ich: "I came to Phoenix
yesterday evening."
Er: "I didn't come for a
long time."
Ich: "Yeah, I feel really
sorry for you."
Und so weiter ...
Schließlich fragte
er mich, ob er mit mir in das Shopping-Center oder wo auch immer ich hinwolle
gehen dürfe. Ich erklärte trocken: "No. You would ask me the
whole time for sex, but I'm not in the mood for that."
Daraufhin versuchte er gar
nicht weiter zu diskutieren, einige Minuten später setzte er mich
brav an einem kleinen Shopping-Center ab. Zum Abschied meinte er noch:
"But I would really like to have sex with you!"
"Yes, I know. Thank you
for the ride! Bye!"
 
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Das
Shopping-Center war ziemlich schwach, ein neues Modem würde ich hier
nicht finden, zudem hatten die meisten Geschäfte noch nicht einmal
auf, also verbrachte ich die meiste Zeit damit, Kaffee zu trinken und Postkarten
zu schreiben. Immerhin war es angenehm kühl, die Amis klimatisierten
nämlich sogar die Aussenbereiche des Shoppingcenters, indem sie kaltes
Wasser vernebelten, das aus tausenden von Düsen kam, die oberhalb
der Wege installiert waren.
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Für
den Rückweg wollte ich mir ein Taxi besorgen, also wanderte ich in
Richtung Motel und hielt Ausschau nach einem Cab. Unterwegs kam ich an
einem Baseballstadion vorbei, wo gerade Massen von Zuschauern hin pilgerten.
Interessiert mischte ich mich unter das Volk und hatte sogar die Möglichkeit,
einen Blick in das Stadion zu werfen. Am liebsten hätte ich an diesem
Volksfest teilgenommen, es war so herrlich typisch amerikanisch, aber um
zwei sollte ich ja meinen Pick up abholen, also ging ich schließlich
weiter. An meinen Füße machten sich allmählich Anzeichen
von Blasen bemerkbar und meine Schultern begrüßten einen Sonnenbrand,
bis ich nach halber zurückgelegter Strecke zum Hotel endlich ein Taxi
anhalten konnte.
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Dort sah ich mir das Baseballspiel
im Fernsehn an, ohne die Regeln zu kapieren, und wartete auf Sergios Anruf.
 
Nach einer
Stunde Funkstille meldete ich mich gegen drei auf seinem Handy und hinterließ
eine Nachricht. Gegen vier kam endlich der Rückruf: er sei in der
Werkstatt und hätte feststellen müssen, dass jemand ein Teil
aus dem Motor meines Pick ups wieder ausgebaut hätte - er müsse
es neu besorgen und morgen einbauen. Dann könne ich den Wagen abholen
- ob das okay für mich sei?
Was sollte ich sagen? Mir
blieb kaum etwas anderes übrig als bis zum nächsten Tag zu warten.
Und das in einer Gegend, in der man eigentlich nicht alleine spazieren
gehen sollte.
Ich war reif für einen
Kaffee. Nach meinem klimatisierten Zimmer erschlug mich die Hitze draussen,
aber ich machte mich trotzdem auf den Weg zur nächsten Tankstelle.
Dann kehrte ich bei einem kleinen Hamburgerladen ein, der draussen im Schatten
Tische stehen hatte. Nach Verspeisung ungesunden Essens begann ich, meine
Umgebung wahr zu nehmen. Spätestens, als ein Wagen eine Blondine absetzte,
die schnurstracks zu dem Typen am Nachbartisch ging und ihm ein paar Dollarscheine
zeigte, wurde mir klar, wo ich gelandet war. Der Zuhälter- und verlorene-Gestaltentreff
im Nuttenviertel. Bald begann man mich auszuchecken, und ich hielt Schwätzchen
mit Billy, Phil, Mike, Mario und etlichen anderen Namenlosen, was sich
so nett und interessant entwickelte, dass ich schließlich bis fast
elf Uhr dort saß. Als deutsche Touristin war ich sofort tabu für
das Völkchen,
zudem will ich nicht unterstellen, dass sie alle Zuhälter waren, und
so hatten wir eine Menge Spaß, während wir uns über Deutschland,
Gott und die Welt unterhielten. Phil gab mir zum Abschied eine kleine Spielzeugfigur,
die ich aus einem Grund, den ich hier nicht weiter erläutern möchte,
spontan "Jerky" nannte. Es hat etwas mit der typischen Handbewegung der
Figur zu tun.
Schließlich schloß
der Hamburgerladen, und Billy, der mit einer Deutschen verheiratet gewesen
war und mehrfach Deutschland besucht hatte, brachte mich netterweise noch
zu meinem Motel. Ich hatte mich nicht sehr darauf gefreut, im Dunkeln alleine
in dieser Gegend unterwegs zu sein. Dort wurde sich höflich verabschiedet
- man kann den Amis nachsagen was man will: sie mögen vielleicht manchmal
frech sein, aber niemals aufdringlich.
So war aus dem eigentlich
öden Wartetag in Phoenix alles in allem doch ein echter Amerikatag
geworden. Zur Krönung spendierte mir der Nachtwächter vom Motel noch eine Pepsi,
als er mich etwas ratlos nach Kleingeld suchend vor dem Getränkeautomaten stehen sah.
"I had good luck in the casino this evening!" erklärte er seine unerwartete Spende.
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