07.08.2001 Strays in New Haven

EWir trödelten herum am Morgen, obwohl ich die endgültige Entscheidung für das Stray-Jagen in New Haven getroffen hatte. Gegen neun brachen wir endlich, beladen mit fünf Pferden, auf. Fünf Pferde im Trailer - das merkte ich deutlicher beim Fahren als ich erwartet hatte, mit zwei Pferden war der Trailer kaum spürbar gewesen. Zu allem Überfluß taten es die Bremsen vom Trailer auch nicht mehr, da das Kabel wieder kaputt zu sein schien. Sehr langsam und manchmal nicht ohne brenzlige Situationen in Kurven, die ich vorher nicht genug abbremsen konnte, schlichen wir die unasphaltierten Straßen entlang.
In New Haven parkte ich an der Hunting Lodge, wo ich auf Joann traf, die das Haus putzte. Ich schwatzte kurz mit ihr und lud sie ein, doch mal auf der Lake Ranch vorbeizukommen, was sie gerne täte, dann könne sie uns auch die Katzen bringen.
Bruno auf Montes Sorrel Mare, Mauro auf Piano, Michael auf Repeat und Sabine auf Peach waren bereit für den Ritt. Ich hatte Foxy dabei und ritt mit ihnen auf das obere Heufeld und erklärte in deutsch und gebrochenem italienisch, was wir machen würden und wo. Aufgabe war: durch zwei Weiden durchreiten und in der dritten nach sechs entlaufenen Rindern suchen, diese zu der Weide bringen, in der wir starteten. Teil zwei war in der Weide dazwischen dreizehn Rinder suchen und in diese Weide bringen. Ich zeigte auf die Zaunlinien, die wir vom Hügel aus sehen konnte und ritt dann eine kleine Gruppe Rinder an, die hier schon grasten, um Mauro, Michael und Sabine die Grundprinzipien des Rindertreibens zu demonstrieren: Langsam - kein Galopp, kein herumgehetze, sondern immer langsam! Bruno war letztes Jahr schon auf der Ranch gewesen und hatte wohl schon mal Rinder getrieben, wenn auch nicht sehr gut, wie ich später feststellte.
Wir ritten also in die nächste Weide herein zur übernächsten, der mit den sechs Strays. Eigentlich erwartete ich, heute gar keine Rinder zu finden, es war schon spät, heiß und die Viecher konnten sich überall unter Bäumen in den riesigen, von Canyons durchzogenen Weiden verkrümelt haben.
Darum machte ich fast Freudensprünge, als ich die ersten sechs brav am Zaun stehen sah, keine fünfzehn Meter vom Gate entfernt. Das war wirklich Glück und ersparte uns mindestens zwei Stunden suchen!
Da das Gate beim letzten Mal nicht gerade einladend auf die Rinder gewirkt hatte erwartete ich wieder Schwierigkeiten beim hereintreiben in die Weide, weswegen ich die anderen bat hinter einem Baum zu warten und nur mit Bruno in die Weide hereinritt, um die Rinder herauszuholen. Ich hatte nicht unrecht, es kostete Foxy eine halbe Stunde schweißtreibende Springerei durch kleine Canyons und dichtes Unterholz, mich meine Wasserflasche, die ich verlor und jede Menge Nerven, bis die sechs Rindviecher durch das Gate waren. Bruno entpuppte sich dabei mehr als Hindernis als als Hilfe, aber letztendlich schafften wir es doch.
Aber das war nur der halbe Job, wir schlossen das Gate und trieben die Rinder weiter zur nächsten Weide, was zum Glück ein Kinderspiel war, die Ochsen folgten brav dem Trail, der dort hin führte.
Teil eins erledigt, ich war schon unheimlich stolz auf uns. Nun folgte Teil zwei: in der Weide dazwischen dreizehn Rinder suchen und zurück bringen. Wieder kratzte ich meine paar italienischen Vokabeln zusammen und erklärte, dass wir uns trennen würden, Bruno ganz rechts, Mauro links daneben, dann Michael und Sabine in der Mitte und ich links außen einen breiten Canyon entlang etwa zwei Meilen weit bis zu einem Zaun, wo wir uns in der Mitte an einem offenen Gate treffen würden.
Wieder erwartete ich nicht, dass wir irgend etwas außer Staub und Bäume zu sehen bekommen würden, genoß daher die Aussicht und traf an der verabredeten Stelle auf Michael und Sabine. Hinter dem offenen Gate war noch einmal eine kleinere Weide, die wir auch durchsuchen mussten, aber - kaum zu glauben, aber wahr - Sabine hatte unsere Wilde Dreizehn schon gefunden, gleich hinter dem Zaun im Schatten von Bäumen versteckt. Mauro und Bruno steckten noch auf dem Hang an der anderen Seite fest, ich schickte Michael hoch, um sie zu holen, weil Foxy die letzten zwei Stunden schon genug geklettert war. 
Brunos Pferd war in einem alten Stacheldrahtzaun hängengeblieben, deswegen war er nicht herunter gekommen. Schnittverletzungen an beiden Vorderfesseln, zum Glück nicht tief. Da die Stute so oder so zurück zum Trailer laufen musste und die Rinder im Prinzip den gleichen Weg gehen mussten bat ich Bruno uns im Schritt zu folgen, während ich mit den anderen die Rinderarbeit erledigte.
Ich postierte meine Cowboys so um das Gate, dass die Rinder dort hindurch mussten, und ritt mit Michael die zum Teil noch liegende Herde an. Wir hatten mehr Glück als Verstand, die Rinder ließen sich problemlos durch das offene Gate bringen und blieben fast bis zum Ziel immer auf oder zumindest nahe bei dem Trail, wir brauchten ihnen eigentlich nur langsam hinterher zu reiten, während ich hier und da meine Schachfiguren neu postierte: „Zurück! Dritto! Destra! Go go go! Piano! Vai! Rapido! Halt!“ - ich brüllte mir zwar teilweise die Seele aus dem Leib, aber eigentlich mehr, um mich verständlich zu machen, ansonsten war mein Team einfach top und rannte nicht einfach kopflos herum.
Wenn es eng wurde musste Foxy ran - und er konnte rennen! Er machte alles, sprang einen Meter tief in Gräben rein, durch Bäume durch ohne mich abzustreifen, Hänge hoch, die eine Ziege vom Springen abgehalten hätten - einfach unglaublich, wie dieses Pferd aufblühte, wenn wir hinter Rindern her waren! 
Schließlich hatten wir sie mit kleineren Beendigungsschwierigkeiten in Form eines einzigen sturen Rindes alle dreizehn durch das Ziel-Gate - Job erfolgreich abgeschlossen. Ich war unheimlich stolz auf uns, ich hatte uns beim losreiten eine Fünf-Prozent-Chance eingeräumt, dass wir überhaupt auf einen der entlaufenen Ochsen stoßen würden, und nun hatten wir wirklich alle erwischt und in die richtige Weide gebracht!
Auch auf Foxy war ich unheimlich stolz - dieses Siebenhundertfünfundsiebzig-Dollar-Pferd hatte mal wieder bewiesen, dass es jeden Penny zehnfach wert war.
Gegen eins kamen wir zurück zum Trailer, wo ich zum Glück einen Thermosbehälter mit kaltem Wasser hatte, den wir alle dankbar nutzten, es war inzwischen um die dreiunddreißig Grad warm. Wir luden die Pferde ein und fuhren ohne Zwischenstopp bei Joann zurück zur Lake Ranch - langsam und immer wieder die Schaltung nutzend, obwohl der Pickup eine Automatik hatte - das Bremsen mit dem schweren Trailer fiel dem Pickup wirklich nicht leicht.
Wir kamen gerade rechtzeitig zum Lunch an, ich versorgte die Schnittwunden der Stute und Foxys abgescheuerte Schweifrübe, die schwer sonnenbrandgefährded war, dann ließen wir die Pferde frei.
Nach dem Lunch blieb mir noch nicht einmal die Zeit, eine Zigarette zu rauchen und Kaffee zu trinken, als Gianluca wieder vor mir stand: „Can I read my e-mail?“ 
Mein Computer war seit einigen Tagen ein heißes Thema. Ich hatte versucht allen Mitnutzern zu erklären, dass wir nicht vormittags online gehen konnten, da zu dieser Zeit zu viele Anrufe aus Europa kamen und wir die Leitung blockierten. Des weiteren, dass ich in jeder freien Minute am Rechner sitzen würde um zu arbeiten, ich also jedesmal, wenn andere ihre Mails machten, wartend herumsaß, weswegen tägliches Internetsurfen für alle einfach nicht drin war. 
Und dann kam Gianluca, dem ich ziemlich genervt erklärte, dass er mich doch bitte jetzt in Ruhe lassen solle. Vielleicht hätte ich ihm erklären sollen, dass ich das Lake-Ranch-Internet-Cafe sowieso ungefragt in zehn Minuten eröffnen wollte, aber er erwischte mich komplett im falschen Moment. Er bekam das in den falschen Hals, und als ich zehn Minuten später den Run auf meinen Computer eröffnete war er wie ein kleines Kind: „Ich brauche nicht an den Rechner.“ - Na und? Wenn ich mir solche beleidigten Gesichter ansehen musste bereute ich es, jemals irgend jemandem meinen Computer zur Verfügung gestellt zu haben.

Auch gegen fünf kühlte sich die Luft nicht merklich ab, es waren immer noch über 35 Grad und bei weitem zu heiß zum reiten. Während ich eher faul herumbummelte und ein paar Sättel ölte oder am Computer saß gab Ferdi Wurmkuren an die Pferde und trainierte dann zwei der Stuten, die in Ausbildung waren; unsere Gäste sahen dabei zu oder halfen. Gegen sieben zog sich der Himmel mit Wolken zu, aber statt Regen gab es erst einmal nur Wolken und Farben - zwei Regenbogen wölbten sich über der Ranch. The country of the two rainbows - war schon irgendwie beeindruckend.
Vor dem Abendessen rief ich auf der Bush Ranch an und gab voller Stolz Erfolgsmeldung über unsere heutige Rinderarbeit ab. Das imponierte Nick zwar, aber er setzte dann drauf, dass er dafür alle achthundert Mutterkühe auf der Bush Ranch alleine ins nächste Pasture getrieben und die Bullen aussortiert hatte - gegen diese Leistung kam ich mit meinem fünfköpfigen Team und neunzehn läppischen Rindern natürlich nicht an.
Sein Fleiß schmiss allerdings die Pläne für die nächsten Tage durcheinander, nun wollte er die Haffers schon am nächsten Tag umtreiben, während ich für den Tag eigentlich den Herdenumtrieb auf der Lake Ranch geplant hatte. Nick war anpassungsfähig, notfalls würde er die Haffers auch einen Tag später schieben, weil er auf der Weide wirklich Hilfe brauchen konnte. Weil ich alleine keine Entscheidungen für die Planung der nächsten Tage machen konnte vertröstete ich ihn auf später am Abend, um mich mit Ferdi abzustimmen. Dem war eigentlich fast alles egal, wenn er nur nicht selbst entscheiden musste, also übernahm ich das für ihn. Mit Nick verabredeten wir uns für den nächsten Morgen, wobei er nicht sicher war, ob er pünktlich sein würde, ich solle dann halt einfach schon mal anfangen, die Viecher zusammen zu treiben. Für den Nachmittag plante Ferdi mit Michael und Sabine nach Oshoto zu dem Quarter Horse Züchter Berger zu fahren, während ich auf jeden Fall nach Hulett wollte, weil dort Sturgis-Tag war. Sturgis war ein Ort etwa siebzig Meilen entfernt, wo jedes Jahr Anfang August das größte Harley Davidson Treffen der USA stattfand. Und Hulett bekam aufgrund des Devils Tower in der Nähe jede Menge vom „Sturgis“ mit, hunderte von Bikern kamen in das Kaff, und Mittwoch war eine Art Feiertag für das Bikertreffen in Hulett mit Rodeo-Spielen und Straßenbesäufnis. 
Am Donnerstag würden wir dann endlich die Rinder auf der Lake Ranch umtreiben - das war schon seit Tagen überfällig. Vielleicht. Pläne änderten sich schnell im „Wilden Westen“.
Nach dem Dinner standen und saßen wir noch lange zusammen, Billard spielen, quatschen, kontrolliert saufen, wobei bei Tatanka das Wort „kontrolliert“ weggelassen werden könnte. Gianluca spielte die beleidigte Leberwurst - er wechselte den ganzen Tag kein Wort mehr mit mir.

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